Missaglia, F., Geleitwort, in Cantarini, S., Deutsche Neologismenwörterbücher. Ein Vergleich der Mikrostrukturen ihrer Stichwörter in Print- und Onlinewörterbüchern, Carocci Editore, ROMA -- ITA 2024: 9-11 [https://hdl.handle.net/10807/260715]

Geleitwort

Missaglia, Federica
2024

Abstract

Die Sprache wandelt sich, sie wächst und gedeiht: In Abhängigkeit vom Sprachgebrauch und von den kommunikativen Bedürfnissen innerhalb der SprecherInnengemeinschaft veralten Wörter, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, nicht mehr aktuelle Bedeutungen verschwinden, neue Wörter („Neulexeme“) entstehen und neue Bedeutungen füllen kontingente lexikalisch-semantische Lücken innerhalb des Sprachsystems. Entsteht das Bedürfnis etwas Neues zu bezeichnen, das Bedürfnis etwa einen Gegenstand, einen Sachverhalt oder eine Person mit einem (noch) nicht existierenden Sprachzeichen zu versehen bzw. dem Neuen einen Namen zu geben – und damit einen Neologismus aus der Wiege zu heben – bietet die Sprache mehrere Möglichkeiten. Neben den Urschöpfungen oder Kunstwortbildungen (Hartz IV), in jüngster Zeit nicht selten etwa in Form von Abkürzungen (MMS, Veggie), den Wortentlehnungen (heutzutage v.a. als Anglizismen: event, wellness, prepaid) und den Neubedeutungen („Neosemantismen“) bzw. den metaphorischen Bedeutungsübertragungen (brennen bezogen auf CDs, vorglühen, Netzwerk) stellen im Deutschen die Wortbildungsverfahren – primär die Zusammensetzung oder Komposition (Spaßkultur, Wutbürger) und die Ableitung oder Derivation (entschleunigen, belüften) – sehr produktive schöpferische Mittel zur Bereicherung des Wortschatzes dar. Als weiteres Beispiel möge man in diesem Zusammenhang etwa an das gegenwärtig besonders produktive Movierungssuffix -in zur Personenbezeichnung für geschlechterbewussten und -gerechten Sprachgebrauch denken. So wurde zur Bezeichnung des entsprechenden sprachlichen Brauchs, der die deutsche Gegenwartssprache in verstärktem Maße auszeichnet und zur Entstehung und Verbreitung vieler neuer Wörter im Deutschen beiträgt, ein Neologismus – gendern! – gebildet, der sich heute großer Beliebtheit und Brauchbarkeit erfreut. Und wenn sich ein Neologismus nicht nur als brauchbar erweist, um ein kommunikatives Bedürfnis zu erfüllen, sondern sich in der SprecherInnengemeinschaft etabliert und Teil des nicht zuletzt kodifizierten Wortschatzes wird, wird er von den SprachnutzerInnen nicht mehr als Neulexem bzw. als Neusemantismus wahrgenommen: Er wird zu einem Wort wie alle anderen, das in synchronischer Perspektive die zwischenmenschliche Kommunikation gewährleistet und in diachronischer Perspektive als lexikalisches Indiz für den Sprachwandel gilt, zumal es von einem kommunikativen Bedürfnis zeugt, das wegen kontingenter – kultureller, gesellschaftlicher, politischer, fachlicher… – Bedingungen entstanden ist. Es ist für kundige SprachexpertInnen wie für wissbegierige Laien interessant zu erfahren, wann, wie und warum Neologismen entstanden sind und Eingang in die deutsche Sprache gefunden haben. Diesem Bestreben ist der vorliegende Band gewidmet, der vor dem Hintergrund lexikologischer und lexikografischer Forschung den Neologismen des Deutschen der letzten ca. 30 Jahre auf den Grund geht. Dabei wird ein wissenschaftlich begründeter Vergleich von vier Neologismenwörterbücher der deutschen Sprache geboten, der nicht nur SprachwissenschaftlerInnen und ExpertInnen gezielt anspricht, sondern sich auch an Sprachlernende und an LeserInnen wendet, die Interesse an den gegenwärtigen Tendenzen der deutschen Lexik haben. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Einsicht, dass sich im Zuge der sog. digitalen Wende und der damit verbundenen Digitalisierung vieler menschlicher Aktivitäten im privaten und beruflichen Alltag zwar der Zugang zu den Wörterbüchern geändert haben mag – von den gedruckten verstärkt hin zu den digitalen Wörterbüchern – das Bedürfnis nach zuverlässigen Nachschlagewerken allerdings konstant geblieben, wenn nicht sogar gewachsen ist. Trotz – oder vielleicht wegen – der allgegenwärtigen spellchecker besteht nach wie vor die Notwendigkeit sich eingehend über die Pragmatik, die Semantik und die Morphologie, die Rechtschreibung und die Silbentrennung von Wörtern zu informieren. Darüber hinaus bieten (Neologismen-)Wörterbücher die faszinierende Möglichkeit, einen Einblick in die kulturellen und sozialen Besonderheiten von SprecherInnengemeinschaften zu gewinnen. Aus diesem Grund ist das Vorhaben dieses Bandes sehr zu begrüßen, zumal die Neologismenforschung im Bereich der deutschen Sprache noch in den Kinderschuhen steckt. Der Autorin gelingt es, eine wissenschaftlich – lexikologisch und lexikografisch – fundierte Analyse von vier neueren Neologismenwörterbüchern des Deutschen zu bieten. Ausgehend von der Betrachtung der Mikrostrukturen von lexikalischen Einheiten und Phraseologismen werden dabei Gemeinsamkeiten (etwa die frequenz- und korpusbasierte Entscheidung bzgl. der Aufnahme einzelner Wörter als Lemmata) und Unterschiede (in Aufbau und Struktur, Ausrichtung, Zielsetzung und Präsentation sowie im Hinblick auf Semantik, Morphologie und Orthographie) zwischen den betrachteten print- und online-Wörterbüchern beleuchtet Die LeserInnen erhalten nützliche linguistische Informationen; darüber hinaus gewinnen sie das Bewusstsein der Relevanz etwa soziokultureller und geschichtlicher Sachverhalte für die Schöpfung und Konsolidierung von Wörtern des gegenwärtigen Gebrauchs (Euro, Kanzlerin). Nicht zuletzt sei auf den dokumentarischen Charakter der vergleichenden Untersuchung hingewiesen: Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen Wörter und Phraseologismen, die konkrete Zeugen des Wandels der deutschen Sprache und der deutschen Gesellschaft sind.
2024
Tedesco
9788829021628
Carocci Editore
Missaglia, F., Geleitwort, in Cantarini, S., Deutsche Neologismenwörterbücher. Ein Vergleich der Mikrostrukturen ihrer Stichwörter in Print- und Onlinewörterbüchern, Carocci Editore, ROMA -- ITA 2024: 9-11 [https://hdl.handle.net/10807/260715]
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